Written Art ist Schrift und Bild, kalligrafische wie konzeptuelle Kunst \\ Hier featuren wir zur Zeit Etel Adnan, On Kawara, Shirin Neshat und Qiu Zhijie \\ Willkommen!
Shirin Neshat (*1957 in Qvazvin, Iran) ist die derzeit bekannteste iranische Künstlerin. Sie wächst in einem muslimisch-liberalen Elternhaus auf. Noch während der Monarchie des Schahs geht sie als Schülerin, in Begleitung ihrer Schwester, in die USA. Erstmals kehrt sie 1990 zurück, wo die politische Wandlung des Iran einen kulturellen Schock in ihr auslöst. Die Islamische Republik gestattet Neshat nicht, in ihrer Heimat zu bleiben. New York wird zu ihrer Diaspora.
You can take an Iranian out of Iran, but you cannot take Iran out of an Iranian.
Neshats Stilmerkmal ab 1993 ist die kalligrafische Schrift auf der Haut. Die Handschrift auf dem Fotopapier sorgt für eine spirituelle Bildebene. Vor allem ihre Darstellungen von iranischen Frauen erregen große internationale Aufmerksamkeit. Neben den in Farsi beschrifteten Fotos produziert sie ab 1996 auch Schwarzweißvideos und später Kinofilme mit dem iranischen Filmemacher Shoja Azari, ihrem Lebenspartner. Fast alle ihre Werke beziehen sich narrativ, oftmals surreal und sehr politisch, auf ihre Heimat.
Neshats Thema sind die iranische Poesie, die Spiritualität der Rituale sowie die Geschlechtertrennung in fundamentalistisch islamischen Gesellschaften. Für ihre Filme gewinnt sie 1999 den ›Goldenen Löwen‹ auf der 48. Biennale von Venedig. 2009 wird sie mit dem ›Silbernen Löwen‹ für ihren Film ›Women Without Men‹ geehrt. 2017 erhält sie für ihr bisheriges Werk den ›Praemium Imperiale‹ in Tokio. Die 2015 als Auftragswerk entstandene Porträtserie ›The Home of My Eyes‹ zeigt Menschen aus Aserbaidschan, einem Land zwischen Russland, dem Iran, der Türkei und dem fernen Osten. Auf ihren Bildnissen tragen sie dunkle Kleider. Ihre Hände sind auf Wunsch der Künstlerin gefaltet. Kalligrafie in Farsi bedeckt ihre Hautpartien. In den Texten geht es um die Frage, wie die Dargestellten über den Begriff Heimat denken.
Neshats Fotos zeigen Kalligrafien in Farsi. Akkurat beginnen die Wörter am Haaransatz. Man muss nah an die Personen herantreten, um die Schrift zu entziffern. Zum Teil geht es um poetische Verse aus einem Gedicht von Jamal al-din Nezami Ganjavi, einem der renommiertesten Dichter Irans. Viele Iraner können Textteile dieser Poesie, in der es um Liebe und das Leben in einer Diaspora geht, noch heute auswendig rezitieren.
Der japanische Künstler On Kawara (1932 – 2014) war 1963 einer der ersten, der Kunst mit Schrift nach konzeptuell strengen Vorgaben produzierte. In den 1950er Jahren in Japan hatte er noch figurativ gearbeitet. Mit den Wörtern ›Nothing, Something, Everything‹ bahnte sich der Wandel an. Seitdem hat er Vorstellungen von Zeit und menschlicher Existenz mit Lettern und Zahlen evoziert. Diese wurden nicht erklärt, nur gemalt oder mit Schreibmaschine oder Stempel auf Papier gedruckt.
I am still alive
Vom Januar 1966 an produzierte On Kawara Tausende sog. ›Today‹-Bilder, auf denen allein das Tagesdatum zu sehen ist. Vor dem Malen, nach der Grundierung, klebte er Zahlen und Buchstaben ab, mischte die Farbe an und trug sie in Lasuren auf. Bis um Mitternacht musste das Kunstwerk fertig sein. Zum Protokoll gehörte, dass er biografische Informationen zeitlebens verweigerte, um die Wertschätzung und Interpretation seiner Strategie den anderen zu überlassen.
Das Hauptkennzeichen von Kawaras Arbeit ist die Serialität. Neben den ›Today‹ oder ›Date Paintings‹ hat er von 1968 bis 1979 die Werkfolgen ›I Went‹, ›I Met‹ und ›I Read‹ produziert, um auch Stadtpläne und gelesene Zeitungsausschnitte mit Tagesdatum zu versehen. Ebenso hielt er die Namen der Personen fest, denen er begegnete. Ab 1970 verschickte er Telegramme, auf denen stets wiederkehrend ›I am still alive. On Kawara‹ stand. Zusätzlich gelangten Postkarten mit gestempeltem Datum und Uhrzeit in Umlauf, wann er aufgestanden war. 1971 stellte er erstmals ›One Million Years‹ aus. Die genannte Menge von Jahreszahlen stand Zeile für Zeile auf Papier und wurde in Ringbüchern präsentiert. Die Folge hatte die Widmung ›for all those who have lived and died.‹ Ab 1980 folgten ›One Million Years‹ in Richtung Zukunft mit der Widmung, ›to the last one‹. Das sehr umfangreiche Zahlenwerk wurde ab 1993 mehrfach öffentlich gelesen.
On Kawaras ›Today Paintings‹ gehören zum Inventar der bedeutendsten Kunstwerke seit den 1960er Jahren. Die Bilder sind politisch und privat und folgen der Entscheidung, sich ohne große Worte, auf hermetische, aber nachvollziehbare Weise um die Geschichte der Menschheit zu kümmern. Kawaras Werk wurde vielfach publiziert, wobei er eine große Zahl der Bücher selbst gestaltete. Als biografischen Hinweis wünschte er sich allein die Angabe von Tagen, an denen er gelebt hat.
›Mapping‹, sagt der chinesische Künstler Qiu Zhijie (*1969), Kartieren, Entwerfen und Abbilden, sei seine wichtigste Betätigung. Hunderte von ›Karten‹ hat er bereits realisiert, keine davon bildet nur bestehende Welten ab. Stets geht es um Themen und um Recherche. Qiu ist gelernter Kalligraf, der Schrift und Bild, die chinesische und die englische Sprache mit fiktiven Landschaften in Beziehung setzt. Mit dem Auftragswerk ›24 World Maps‹ versuchte er, alle menschlichen Wissensgebiete zu behandeln.
I am excited of this huge project, giving me the feeling of working for the history.
Qiu, der als Professor zunächst in Hangzhou lehrte, leitet die Fakultät für experimentelle Kunst an der Central Academy of Fine Arts in Beijing. Seine 24 Weltkarten, die Wissensgebiete wie Soziologie und Psychologie, die Religionen, Gottheiten und Utopien ebenso wie Fragen nach der menschlichen Gesundheit und Ernährung thematisieren, bilden eine Enzyklopädie, die er im Rahmen ihrer ersten Ausstellung ›All of the Objects‹ nannte.
Qiu entwickelte seine Lehrtätigkeit aus der chinesischen Literatur und Kalligrafie. Es geht ihm um ›Total Art‹, eine konfuzianische Idee von Installationskunst, die auf Wissen, Assoziationen, Schreiben, Objektemachen und Performance basiert. Zu seinen frühen Werken gehört das tausendfach wiederholte Abschreiben des berühmten ›Orchid Pavilion Preface‹, eine auf das Jahr 353 n. Chr. datierte Kalligrafie, die alle chinesischen Künstler kennen. Sie behandelt die flüchtige, nachdenkliche, schöne Erinnerung an eine fiktive gemeinschaftliche Zusammenkunft im Frühling. Die andauernde Wiederholung der immer gleichen Kalligrafie mündete bei ihm am Ende in ein schwarzes Blatt. Seit mehr als zwanzig Jahren präsentiert Qiu im Westen wie im Osten auf großen Biennalen und in führenden Kunstmuseen jeweils neue Werke. Seine Arbeiten versteht er als Beitrag zur Bewusstwerdung.
Das Zeichnen von Landkarten geht zum großen Teil auf meine Kindheit zurück, von Anfang an habe ich das geliebt. Als ich in der Schule war, gab es einen Wettbewerb, schnellstmöglich eine Karte mit allen 32 Provinzen Chinas zu produzieren. Ich konnte das in wohl weniger als 30 Sekunden – ich war immer der Erste. An der Kunsthochschule war ich vermutlich der einzige unter den jungen Studierenden, der eine sehr gute Zensur in Geografie hatte.
Etel Adnans bildnerische Arbeiten zeigen Sonnen, Monde und leuchtende Farben. Ihre Wurzeln als Schriftstellerin und Künstlerin sind libanesisch, im arabischen Beirut wuchs sie mit griechischer und türkischer Muttersprache auf. Ihre Poesie ist klar und eindringlich, sie ist auch politisch. Die Texte in ihren aufklappbaren Leporellos stehen für das Sagbare – mit dem Unsagbaren der bunten Farben will sie das Geschriebene verklammern. An der Sorbonne, in Berkeley und Harvard hat sie studiert, weshalb sie Arabisch, Französisch und Englisch schreibt. Lange Zeit lebte sie in Sausalito, Kalifornien, wo sie zu auch malen begann.
My life, I told you, is a ripped-up truck.
Adnans Farben sind hell. Für sie sind es Zeichen, sie stehen für einen Ausbund an Emotionen. In ihrer Sprache fasst sie sich kurz. Ihre Arbeiten auf Papier und Leinwand bleiben klein. In den Texten geht es dafür oft um Kriege, um die menschlichen Reaktionen zwischen Verzweiflung und Liebe. Anhaltend beschäftigt sie sich mit der Verschiedenartigkeit von Kulturen. Ihr ist bewusst, dass die Möglichkeiten, gravierende zwischenmenschliche Probleme zu lösen, sehr oft begrenzt sind. Dennoch, sagt die 1925 geborene Künstlerin, strahlt ihr Werk Frieden aus.
In einer arabischen Umgebung erlebte Adnan verschiedene Kulturen in einer Koexistenz. Ihr muslimischer Vater war sehr gebildet. Er arbeitete für das Militär. Den Koran kannte er auswendig. Die Mutter wuchs mit einer griechisch-orthodoxen Erziehung und Kirchenliedern auf. 1950 in Paris kam Adnan mit Jean-Paul Sartre und erstmals mit westlicher Philosophie, Kunst und Literatur in Berührung. Ihr künstlerischer Werdegang, zu dem auch journalistisches Arbeiten und das Lehren an Universitäten gehörte, bedeutete so eine ständige Erweiterung von Wissen und Gefühlen. Ihr Werk, da sie vor allem die Geschichte Europas und Asiens vor und nach dem Ersten Weltkrieg studierte, fragt nach den Ursachen und dem Umfang schwerer Konflikte. Alle Kulturen, ist ihr bewusst, beinhalten Gewalt. Die westlichen Nationen und die arabischen Völker schaden sich damit. Wichtige historische Begebenheiten werden von Adnan in einer einzigartig universalen Poesie übermittelt.
Seit der documenta 13 im Jahr 2012 gehört die 1925 geborene Schriftstellerin Etel Adnan zum Kanon der Weltkunst. Ihre handgeschriebenen Leporellos mit eingängigen Texten und leuchtenden Farben sind mehrere Meter breit, aber sie erscheinen fragil. Sehr klare Worten stehen unmittelbar neben starkfarbigen, nahezu kindlichen Bildern.
