WRITTEN ART COLLECTION

Artists

Etel Adnan

Seit der documenta 13 im Jahr 2012 gehört die 1925 geborene Schriftstellerin Etel Adnan zum Kanon der Weltkunst. Ihre handgeschriebenen Leporellos mit eingängigen Texten und leuchtenden Farben sind mehrere Meter breit, aber sie erscheinen fragil. Sehr klare Worten stehen unmittelbar neben starkfarbigen, nahezu kindlichen Bildern.

Etel Adnan (*1925 in Beirut, LB, †2021 in Paris, FR) wuchs mehrsprachig mit griechischer und türkischer Muttersprache in Beirut auf. Sie besuchte dort französische Schulen und begann ein Philosophiestudium, das sie ab 1949 an der Sorbonne Université in Paris und ab 1955 an der UC Berkeley und der Harvard University fortsetzte. Ab 1958 unterrichtete sie selbst Philosophie am Dominican College of San Rafael in Kalifornien und begann währenddessen mit ersten künstlerischen Arbeiten, abstrakten Zeichnungen mit Pastellen und Landschaftsmalereien. Zu Adnans unverwechselbarem Ausdrucksmedium wurden ihre Leporellos, ursprünglich aus Japan stammende, meterlange Faltbücher, in denen sie Poesie und Malerei, Schreiben und Zeichnen miteinander verbindet. 1972 lernten sich Etel Adnan und die Künstlerin Simone Fattal (*1942 in Damaskus, Syrien) kennen; ab den 1980er-Jahren lebten sie zusammen in Kalifornien und Frankreich. Als Schriftstellerin und Künstlerin prägte die Bewegung zwischen verschiedenen Sprachen und Kulturen Adnans Lebenswerk. Ihre Arbeiten waren auf der Documenta 13, Kassel (2012), der Whitney Biennial, New York (2014), und der 14. Istanbul Biennial (2015) zu sehen. Einzelausstellungen fanden im Mathaf: Arab Museum of Modern Art, Doha (2014), Museum der Moderne, Salzburg (2015), Lenbachhaus, München (2022), und in der K20 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf (2023), statt.

Mehr über Etel Adnan
Kalimat
Kalimat 2012

Malileh Afnan

Maliheh Afnan (*1935 in Haifa, PS, †2016 in London, GB) wuchs als Tochter persischer Eltern in Beirut auf, wohin die Familie nach der Gründung Israels 1948 geflüchtet war. Sie studierte erst Soziologie und Psychologie an der American University of Beirut, bevor sie 1962 ihr Kunststudium an der Corcoran School of the Arts and Design in Washington, D.C. abschloss. Ihr Aufwachsen in einem mehrsprachigen Umfeld – Arabisch, Englisch, Hebräisch – spielte eine zentrale Rolle in der Entwicklung ihres Werkes: Bereits als Kind begann Afnan, eigene Schriften, inspiriert von arabischen, persischen und lateinischen Alphabeten, zu erfinden. Ihre künstlerische Praxis umfasst Zeichnungen, Stickereien und Reliefs. Charakteristisch sind ihre bildhaften Schichtungen aus Linien und Pigmenten auf Papier oder Textil mit kalligrafischen Elementen, die an verwitterte Manuskripte oder archäologische Landkarten erinnern. Die Kombination mit Fantasieschriften oder eigenen Zeichensprachen nutzte sie nicht zur direkten Mitteilung bestimmter Aussagen, sondern als Ausdruck einer universellen, nicht entzifferbaren Bildsprache, die zwischen Kulturen, Zeiten und Erinnerungen vermittelt. Ab den 1960er-Jahren lebte und arbeitete Afnan u. a. in Kuwait, Paris und ab 1997 in London. Afnans Arbeiten waren u. a. in The British Museum, London (1991, 1995, 2006), in der Eremitage, St. Petersburg (2007), im Gropius Bau, Berlin (2009), in der Whitechapel Gallery, London (2023) und im Musée d’Art Moderne de Paris (2024) ausgestellt.

© Philipp Ottendörfer

Mounira Al Solh

Mounira Al Solh (*1978 in Beirut, LB) lebt und arbeitet zwischen Beirut und Amsterdam. Sie wuchs während des Bürgerkriegs im Libanon auf und emigrierte 1989 mit ihrer Familie nach Damaskus, Syrien. Sie studierte Malerei an der Lebanese University in Beirut (1998–2001) und anschließend Bildende Kunst an der Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam (2003–2006). Ihr Werk umfasst Video(installationen), Malerei und Zeichnungen, Texte, Stickereien und performative Arbeiten, mit denen sie immer wieder Form und Funktion von Sprache untersucht. Al Solh nutzt Wortspiele, mehrsprachige Texte und Stickereien, um Bedeutungen zu verschieben. Ihre Arbeiten vereinen feministische Perspektiven, Mikrogeschichten, Zeugenschaft von Krieg, Flucht und Trauma, und sind dabei ebenso poetisch wie gesellschaftlich engagiert. Al Solhs Werke wurden mehrfach auf der Biennale von Venedig (2007, 2015) und der Documenta 14 (2017) präsentiert; 2024 bespielte sie den Libanesischen Pavillon auf der 60. Biennale von Venedig. Einzelausstellungen ihres Werkes fanden u. a. im KW Institute for Contemporary Art, Berlin (2014), The Art Institute of Chicago (2018) und im Mori Art Museum, Tokio (2020), statt. Seit dem Wintersemester 2021/22 ist sie Professorin für Performance, Installation und Medien an der Kunsthochschule Kassel.

© Philipp Ottendörfer

Khaled Al-Saai

Khaled Al-Saai (*1970 in Homs, SY) lebt und arbeitet zwischen Beirut und den USA. Er wuchs in einer traditionsreichen Kalligrafenfamilie auf. Als Kind lernte er klassische arabische Schriftstile und studierte ab 1989 Kalligrafie und Malerei an der Universität Damaskus, Kunstgeschichte an der Universität in Aleppo, mit anschließenden Studienaufenthalten in Istanbul und Teheran, u. a. zur persischen und osmanischen Schriftkunst. Al-Saais Werk verbindet klassische arabische Kalligrafie mit zeitgenössischer Malerei. Seine meist großformatigen Bildflächen sind rhythmisch komponiert und lösen Schriftzeichen in abstrakten, sich überlagernden Farbräumen auf. Einige Arbeiten erinnern an Landschaften, andere an kosmische Explosionen, in denen Buchstaben als visuelle Energie wirken. Sprache ist für Al-Saai nicht nur Trägerin von Bedeutung, sondern Ausdruck von Spiritualität, Bewegung und Musik. Die erkennbaren Schriftzeichen stammen entweder aus Gedichten oder dem Koran. Teilweise verlieren sie ihre eindeutige Lesbarkeit – zugunsten reiner Form und der Vermittlung von Emotionen. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen für seine Kalligrafie, wie die des IRCICA, Istanbul (2007), oder der Sharjah Calligraphy Biennial (2004, 2008). Seine Werke waren in Ausstellungen im Institut du monde arabe, Paris (2001), Kunstmuseum Bonn (2005) und Sharjah Art Museum (2007) präsentiert.

Karel Appel

Karel Appel (*1921 in Amsterdam, NL, †2006 in Zürich, CH) war einer der Mitbegründer der Künstlergruppe CoBrA. Er studierte an der Rijksakademie van beeldende kunsten in Amsterdam (1940–1943), musste sich dort jedoch dem akademischen Realismus unterordnen, den er früh hinterfragte. Ab 1948 setzten sich die Mitglieder der Künstlergruppe CoBrA für eine spontane, anti-akademische Kunstpraxis ein – beeinflusst von Kinderzeichnungen, Volkskunst und Art brut. Appels Malerei zeichnet sich durch kräftige Farben, grobe Konturen, rohe Materialien und eine gestische Energie aus. Neben Gemälden schuf er Skulpturen, Wandreliefs, Assemblagen, Bühnenbilder und Keramiken. Schrift und Sprache sind bei Appel weniger Mittel semantischer Botschaft als vielmehr rhythmische, visuelle Elemente. In manchen Werken ist eine zeichenhafte Gestik als Ausdruck eines emotionalen Impulses zu finden, die auch von der unmittelbaren Körperlichkeit seiner Malerei zeugt. Appels Werke wurden international ausgestellt, u. a. auf der Biennale von Venedig (1954), der Documenta II (1959) und in großen Retrospektiven im Stedelijk Museum Amsterdam (1968), Centre Pompidou Paris (1989) und Gemeentemuseum Den Haag (2016).

Siah Armajani

Schon als Jugendlicher und noch im Iran betätigte sich Siah Armajani (1939 – 2020) als Kalligraf und Zeichner. ›Panje Tan‹, ein Werk in Tusche, bedeutet ›Die Fünf‹, es steht für den islamischen Propheten und seine Familie. Als Christ aus gebildetem und wohlhabendem Haus floh Armajani noch 1960 aus dem Iran, um sich in den USA zum Konzeptkünstler und einflussreichen Architekten von Kunst im öffentlichen Raum zu entwickeln. In seiner Heimat Minneapolis und in New York wurde er zuletzt 2018/19 mit Museumsretrospektiven geehrt.

Panje Tan (Detail)
Panje Tan (Detail) 1960

Alighiero Boetti

Alighiero Boetti oder Alighiero e Boetti (1940 – 1994) war Ideengeber für die ›Arte povera‹. 1968 übermittelte er anhand eines Fotos die Vorstellung, dass er selbst ein Zwilling sei. Ab 1971 ließ er in Afghanistan und später in Pakistan Stickbilder mit dem Titel ›Mappa‹ produzieren. Zuerst ging es ihm um Kriegsgebiete, dann um ›Territori occupati‹. Danach entstanden Weltkarten mit den Staatsgrenzen und den Flaggen der Nationen. Mehr und mehr sollten die Stickerinnen und Sticker selbst entscheiden, welche Farben und Schriften sie verwendeten.

Mappa
Mappa 1980
© Philipp Ottendörfer

Sophie Calle

Sophie Calle (*1953 in Paris, FR) lebt und arbeitet in Paris. Sie studierte zunächst Sozialwissenschaften, bevor sie sich autodidaktisch der Fotografie, Performance- und Installationskunst zuwandte und auch begann, Text in ihre Arbeiten zu integrieren. Ende der 1970er-Jahre entwickelte sie eine eigene künstlerische Praxis des Beobachtens und Dokumentierens von Fremden, die zu einem Kernelement ihrer Kunst wurde. Calles Arbeiten basieren oft auf autobiografischen oder voyeuristischen Elementen, in denen sie sich selbst, andere Personen, intime oder unangenehme Situationen dokumentiert. Sie untersucht auf poetisch-konzeptuelle Weise das Verhältnis zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, Intimität und Distanz sowie das menschliche Verlangen nach Schaulust und Sensation. Texte begleiten ihre Fotografien nicht nur erklärend, sondern erzeugen zusätzliche Bedeutungsebenen. Durch Tagebucheinträge, Interviews, Briefe oder Beobachtungen integriert sie die unterschiedlichsten narrativen Strukturen, die emotionale, gesellschaftliche und existenzielle Themen verhandeln. Calle bespielte den Französischen Pavillon auf der 52. Biennale von Venedig (2007). Ihre Werke waren u. a. in Einzelausstellungen im Centre Pompidou, Paris (2003), der Whitechapel Gallery, London (2009), im Palais de Tokyo, Paris (2017), und Musée Picasso, Paris (2023), zu sehen

Claudia Comte

Claudia Comte (*1983 in Grancy, CH) lebt im Kanton Basel-Landschaft. Sie studierte an der École Cantonale d’Art de Lausanne und entschied sich nach Aufenthalten in Paris, Rom und Berlin für einen Lebensort im Einklang mit Natur, Handwerk und nachhaltiger künstlerischer Praxis. Comtes Werk umfasst Skulptur, Malerei und Installation. Ausgangspunkt vieler Arbeiten ist ein selbst entwickeltes Regelsystem serieller Ordnung mit organischer Form, das Rhythmus, Wiederholung und Muster als bildnerische Strukturprinzipien nutzt. Frühe Inspiration fand Comte in Comics – etwa bei den ikonischen Kakteen in Lucky Luke oder der expressiven Naturdarstellung in Marsupilami. Diese cartoonhaften Biomorphismen überträgt sie beispielsweise in monumentale Wandarbeiten und skulpturale Ensembles aus stilisierten, synthetischen Wellenlinien. Schrift tritt bei Comte punktuell als bildnerisches Element auf: In ihren Interview Paintings (2020/21) wurden Gespräche mit zwölf internationalen Kurator:innen in Bildfelder übersetzt, in denen Textfragmente ihrer Dialoge als grafische Muster über pastellfarbene Flächen verlaufen. Comtes Werke wurden u. a. im Kunstmuseum Luzern (2017), Castello di Rivoli, Turin (2019), Haus Konstruktiv, Zürich (2022), Rockbund Art Museum Shanghai (2024), K&L Museum Seoul (2024) sowie anlässlich des Festivals Desert X AlUla in Saudi-Arabien (2022) ausgestellt.

© Philipp Ottendörfer

Natalie Czech

Natalie Czech (*1976 in Neuss) verbindet in ihrer konzeptuellen Fotografie Sprache, Bild und poetische Struktur. In Serien wie »Poems by Repetition« arbeitet sie mit gefundenen Texten, die sie fotografisch inszeniert, überarbeitet und so in visuelle Gedichte verwandelt. Durch Markierungen, Streichungen oder Hervorhebungen entstehen spannungsreiche Wechselspiele zwischen Lesen und Sehen. Ihre Werke stellen Fragen nach Wahrnehmung, Wiederholung und der Beziehung zwischen Medium und Bedeutung. Czech nutzt das fotografische Bild als Bühne für sprachliche Verdichtung – und zeigt, dass jedes Gedicht auch ein Bild sein kann, jedes Bild ein Gedicht. Ihre Werke befinden sich in Museumssammlungen wie der Pinakothek der Moderne, München, dem Fotomuseum Winterthur, dem Museum of Modern Art, New York, oder der Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland. Einzelausstellungen fanden unter anderem statt im Musée d'Art Moderne et Contemporain, Genf, im Kunstverein Heilbronn, im KINDL – Zentrum für Zeitgenössische Kunst, Berlin, im CRAC Alsace Centre d‘Art, Palais de Tokio, Paris, im Kunstverein Hamburg und im Ludlow 38, New York. Natalie Czech ist seit 2020 Professorin für Fotografie an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. Sie lebt und arbeitet in Berlin.

Lalla Essaydi

Lalla Essaydi (*1956 in Marrakesch) ist eine marokkanischstämmige Künstlerin, die heute in New York lebt und in Boston sowie Marokko arbeitet. In ihren Fotografien, Gemälden, Installationen und Filmen verbindet sie persönliche Erinnerungen mit Reflexionen über gesellschaftliche, kulturelle und politische Realitäten ihrer Herkunft. Essaydi, die in einer wohlhabenden muslimischen Familie aufwuchs, lebte in Paris und Saudi-Arabien, bevor sie an der École des Beaux-Arts in Paris sowie an der Tufts University und der School of the Museum of Fine Arts in Boston Malerei und Fotografie studierte (BFA 1999, MFA 2003). Ihr Werk hinterfragt westliche Orientalismen und kulturelle Stereotype, insbesondere die Darstellung arabischer Frauen. In Serien wie Les Femmes du Maroc oder Converging Territories (seit den frühen 2000er Jahren) inszeniert sie Frauen in kalligrafisch mit Henna überschriebenen Gewändern und Räumen – eine ästhetisch opulente, zugleich subversive Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen, Repräsentation und Macht. Essaydis Arbeiten wurden international gezeigt, unter anderem 2015 im National Museum of African Art, Washington D.C., 2017 im San Diego Museum of Art sowie im National Museum of Women in the Arts, Washington D.C., und sind in zahlreichen bedeutenden US-amerikanischen Museumssammlungen vertreten.

Golnaz Fathi

Golnaz Fathi (*1972 in Teheran, IR) absolvierte nach dem Grafikdesign-Studium an der Islamischen Azad-Universität in Teheran eine Ausbildung an der Iranischen Gesellschaft für Kalligraphie – als eine der ersten Frauen überhaupt. 1995 wurde sie dort als „bester weiblicher Kalligraph des Jahres“ ausgezeichnet. Fathis technisch brillante, großformatige Leinwände, Tusche- und Papierarbeiten überführen antike und zeitgenössische Elemente, wie persische Kalligraphie, chinesisch anmutende Schriftzeichen und gestisch wirkende Schütt- und Tropfspuren in visuelle Zeichen – gedehnt, geschichtet, gebrochen. Ihre Linien wirken wie Impulse, ihre Kompositionen wie Palimpseste. Farbfelder in Schwarztönen oder Primärfarben bilden dabei oft die Bühne für kalligrafische Gesten. In jüngeren Arbeiten integriert Fathi Elemente urbaner Graffitiästhetik: Sprühfarbe, Kratzer, Überschreibungen – ein bewusster Verweis auf die Street Art Teherans und ihre eigene Spielart einer „Kalligraffiti“. Ihre Arbeiten oszillieren zwischen Text und Bild, Sprache, Kommunikation und Bewegung. Schrift wird zur Spur, nicht zur Aussage – zum Bild, nicht zum Code. Fathis Werke wurden u. a. bei der International Calligraphy Biennial of Sharjah, UAE (2010), der October Gallery, London (2023), und der Sundaram Tagore Gallery, New York (2022) gezeigt. Sie befinden sich in bedeutenden internationalen Sammlungen, darunter dem British Museum, London, dem Metropolitan Museum of Art, New York, dem Islamic Arts Museum Malaysia, dem Asian Civilisations Museum, Singapur, dem Denver Art Museum, der Devi Art Foundation, New Delhi, sowie der Farjam Foundation, Dubai.

Sam Francis

Sam Francis (1923 – 1994) studierte Malerei in San Francisco und ging anschließend nach Paris. Hier löste er sich von flächendeckenden, monochromen Werken zugunsten bunter Farbinseln. Inspiriert von Reisen nach Japan entwickelte er sein gestisches, spontanes Dripping mit dem Ergebnis feiner Texturen. Durch die Anlehnung an den abstrakten Expressionismus, den Tachismus ebenso wie die japanische Kalligrafie wurde er ab Mitte der 1950er Jahre zu einem maßgeblichen Vermittler zwischen der Kunst des Westens und des Fernen Ostens.

Ohne Titel
Ohne Titel 1957

Karl Otto Götz

Karl O'o Götz (*1914 in Aachen, DE; †2017 in Niederbreitbach, DE) zählt zu den bedeutendsten Vertreter:innen der deutschen Nachkriegsavantgarde. Nach frühen autodidakOschen Arbeiten und einem abgebrochenen Studium an der Kunstgewerbeschule Aachen studierte er ein Semester an der Akademie der Bildenden Künste in Dresden, bevor er 1941 als Nachrichtenoffizier nach Norwegen ging. Bereits 1947 vermi'elt ihm ein englischer Kulturschutzoffizier eine Einzelausstellung in einer Pariser Galerie. Sie führte 1949 zu seiner MitgliedschaW in der in Paris gegründeten CoBrA-Gruppe – in deren Umfeld Götz der einzige deutscher Künstler blieb. 1952 war er Mitbegründer der Gruppe Quadriga in Frankfurt. Als zentrale Figur des Informel verstand Götz die aktuelle Malerei als radikalen Gegenentwurf zur ideologisch vereinnahmten Kunst der Vorkriegszeit. Er entwickelte eine offene, rhythmisch strukturierte Bildsprache aus Farbschlieren und Überlagerungen, voller Tempo und KraW. Mit dieser Haltung prägte er nicht nur die gesOsche AbstrakOon der 1950er Jahre, sondern auch das Klima an der Kunstakademie Düsseldorf, wo er ab 1959 unterrichtete und auf GeneraOonen von Studierenden einwirkte – darunter Gerhard Richter, Sigmar Polke und Konrad Lueg. Götz’ Arbeiten entstehen durch rasche gesOsche Bewegungen: flüssige Farbe wird mit Rakel, Bürste und Spachtel aufgetragen, verwirbelt, abgezogen und in einem kontrolliertdynamischen Prozess überarbeitet. Die Leinwand ist vielfach grundiert, geschliffen, gehärtet – der Malakt wird zur energeOschen Setzung im Raum. Keine RepräsentaOon, sondern AkOon: die Malerei wird zum visuellen Ereignis. Götz’ Gesamtwerk ist durchzogen von kalligrafischer Spannung – nicht als SchriW, sondern als choreografierte Spontaneität. Seine Bildsprache oszilliert zwischen Struktur und Impuls, zwischen lyrischem Rhythmus und kompositorischer Präzision. Er war u. a. auf der documenta II (1959) und III (1964) vertreten, stellte im MoMA New York (1963), im Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris (1965), in der Kunsthalle Düsseldorf (1971) sowie in RetrospekOven im ZKM Karlsruhe (2013) und im MKM Duisburg (2014) aus.

Katharina Grosse

Katharina Grosse (*1961 in Freiburg im Breisgau, DE) lebt und arbeitet in Berlin und auf der Mahia Peninsula in Neuseeland. Sie studierte an der Kunstakademie Münster und an der Kunstakademie Düsseldorf, wo sie Meisterschülerin von Go'hard Graubner war. Seit den späten 1990er Jahren erweitert Grosse ihre abstrakte Malerei über Leinwandformate hinaus – hinein in Architektur, LandschaW und urbane Räume. Ihre Werkzeuge sind eine mit Kompressor betriebene Spritzpistole und industrieller Lack. Grosses erste großflächige Sprayarbeiten entstanden 1998 bei der Biennale von Sydney und in der Kunsthalle Bern. Seither bemalt sie Decken, Böden, Felsen, Stoffe, Schu', Möbel oder ganze Gebäudekomplexe – unabhängig vom Trägermaterial, aber immer präzise komponiert. Grosse denkt Malerei als Handlung – als energeOsche Setzung im Raum, als ortsspezifische IntervenOon. Die Farbe strömt, überlagert und verdichtet sich zu einer explosiven und rhythmischen Choreographie. Ein Vergleich zu komplexen ParOturen deutet sich an. In ihrer Arbeit kollidieren Kalkül und IntuiOon, Kontrolle und Ausbruch. Ihre Werke aktualisieren das Informel und führen die gesOsche Malerei in den Raum – im Dialog mit Urban Art, Architektur und BildtradiOon. Aus dieser Spannung entsteht eine visuelle GrammaOk aus Farbe, Fläche, Geste, Körper und Wahrnehmung. Grosse stellte u. a. aus im Palais de Tokyo, Paris (2012), der Kunsthalle Bern (2014), im Hamburger Bahnhof, Berlin (2020), in der AlberOna, Wien (2023/24), im Kunstmuseum Bonn (2024), im Centre Pompidou-Metz (2024/25), in der Staatsgalerie Stu'gart (2025/26) und in den Deichtorhallen Hamburg (2025).

Hans Hartung

Für die Idee der Written Art ist Hans Hartung (1904 – 1989) eine Zentralfigur. Schon als Jugendlicher, bevor er mit moderner Kunst in Kontakt kam, entwickelte er sein abstraktes Vokabular. Ab 1935 nannte er sich ›Tachist‹. Als Deutscher kämpfte er in Frankreich gegen den Nationalsozialismus und verlor im II. Weltkrieg ein Bein. 1945 wurde er französischer Staatsbürger. Tachismus bedeutete für ihn die künstlerische Bewältigung von Angst. Weltweit wurde Hartungs Kunst ab 1948 als Kalligrafie verstanden. Ab 1955 nahm er dreimal an der documenta teil.

Hans Hartung (*1904 in Leipzig, DE, †1989 in Antibes, FR) wuchs in Dresden auf und studierte zunächst Kunstgeschichte und Philosophie. Anschließend ging er für sein Malereistudium nach Leipzig, Dresden, Paris und München. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem er als Freiwilliger für Frankreich kämpfte und schwer verwundet wurde, ließ er sich dauerhaft in Paris nieder. Er ist ein wichtiger Vertreter des europäischen Informel und Mitglied der in München gegründeten Künstlergruppe ZEN 49. Hartung entwickelte eine Malerei von scheinbar sehr gestischem und spontanem Charakter, die sich jedoch oft als das Ergebnis einer langsamen und kontrollierten Ausarbeitung erweist. Zeichenhafte Linienkompositionen, in denen sich der Künstler von der Inspiration des Zufälligen leiten ließ und das Spannungsverhältnis von Farbfläche und Linie untersuchte, sind charakteristisch für sein gesamtes Werk. Dabei steht die kraftvolle Linienführung seiner Zeichnungen und Malereien oftmals der chinesischen Tuschemalerei oder Kalligrafie vergleichbar nahe, in der sich ebenso Verletzbarkeit, Dynamik und Widerstand reflektieren. Das Werk von Hans Hartung wurde auf der Documenta (1955, 1959, 1964) und der Biennale von Venedig (1960, Großer Preis für Malerei) gezeigt. An seinem letzten Wohnort Antibes bewahrt heute die Fondation Hartung-Bergman sein Erbe.

T1966-E31
T1966-E31 1966

Susan Hefuna

Susan Hefuna (*1962 in Berlin, DE) lebt und arbeitet in Düsseldorf, Kairo und New York. Als Tochter eines ägyptischen Vaters und einer deutschen Mutter wuchs sie zwischen Sprachen, Schriftbildern und Sichtachsen auf – geprägt von zwei Kulturen, zwei Schriftsystemen und zwei Arten, die Welt zu sehen. Diese doppelte Prägung durchzieht ihr Werk als sensibles Spiel mit Struktur, Sichtbarkeit und Codierung. Nach dem Studium an der Städelschule in Frankfurt entwickelte Hefuna eine Bildsprache, die Architektur, Schrift, Körper und Raum zu komplexen Zeichensystemen verwebt. Zentral ist dabei das Prinzip der Durchlässigkeit: Wie Licht durch ein Gitter dringt, operieren ihre Werke an der Schwelle zwischen Innen und Außen, Schutz und Offenheit. Mashrabiyas – ornamentale Fenstergitter der islamischen, historischen Baukunst – wurden seit den 1990er Jahren zur strukturellen Denkfigur ihrer Kunst. In Zeichnung, Skulptur und Installation übersetzt sie deren Logik in modulare Raster, grafische Netze, filigrane Schattenkörper. Tinte auf Papier, gewobene Strukturen auf Transparent, handgedrechselte Holzrahmen oder Aluminiumgüsse: Immer geht es um Filter, Zwischenräume, Blickachsen – und das Unsichtbare hinter dem Sichtbaren. Auch Schrift erscheint nicht als Mitteilung, sondern als Zeichenkörper: englische und arabische Worte, Zeichen und Symbole – etwa Kreuz, Pfeil oder Plus/Minus – werden in die Gitter eingeschrieben, rhythmisch gesetzt, teils lesbar, teils als ornamentale Struktur. In Knowledge is Sweeter than Honey (2008) wird ein biblischer Satz – inspiriert von den Psalmen, Kapitel 19, Vers 10 und 119, Vers 103 – einer Mashrabiya eingeprägt. Doch Hefuna verkehrt die religiöse Reverenz: Nicht Gottes Wort, sondern Wissen selbst wird zur begehrten Süße – eine Umdeutung, die an moderne Denkfiguren anschließt, etwa an die Vorstellung, dass Erkenntnis, wie es sprichwörtlich bei Nietzsche heißt, süßer sein könne als jeder Honig. Hefunas Werke wurden u. a. im MoMA, New York (2004), in der Serpentine Gallery, London (2006), auf der 53. Biennale di Venezia (2009), der documenta 13, Kassel (2012), im Louvre, Paris (2014), im Sharjah Art Museum sowie im British Museum (2023) gezeigt.

Jenny Holzer

An ihren ›War Paintings‹ hat Jenny Holzer (*1950) jahrelang gearbeitet. In Folge der amerikanischen und britischen Invasion in den Irak widmete sie sich ab 2004 Regierungsdokumenten mit dem Ziel, den Weg in diesen Krieg durch die Sprache seiner Planer und Vollstrecker zu rekonstruieren. Ihre Leinwandbilder reproduzieren Dokumente verschiedener US-Behörden. Darauf erscheinen Aussagen von Zeugen, Ermittlern, Soldaten und Regierungsangestellten. Vor ihrer öffentlichen Freigabe wurden die Dokumente von der US-Regierung geschwärzt.

Die US-amerikanische Konzept- und Installationskünstlerin Jenny Holzer (*1950 in Gallipolis, USA) ist vor allem durch ihre Verwendung von Text im öffentlichen Raum international bekannt geworden. Sie studierte zunächst Zeichnung und Druckkunst an der University of Chicago und schloss 1972 ihr Studium mit dem Bachelor of Fine Arts an der Ohio University ab. Ihren Master Degree of Fine Arts erlangte sie 1977 an der Rhode Island School of Design New York. Im selben Jahr zog Holzer nach New York, begann mit Text als Kunstform zu arbeiten und engagierte sich in der Künstlergruppe Colab. Mit ihrer Familie lebt Holzer seit 1985 auf einer ehemaligen Farm in Hoosick, New York. Ihre ersten international wahrgenommenen Arbeiten sind ihre »Truisms«: kurze, scheinbar banale Statements und Aphorismen, die sie zunächst als Poster verbreitete, später dann als LED-Leuchtschriften, Gravierungen in Steinbänken, als Aufkleber, Tassen, Basecaps und T-Shirts. Im Rahmen der documenta 7 wurden ihre »Truisms« 1982 auf eine Hausfassade in Kassel projiziert. 1990 vertrat Jenny Holzer als erste Künstlerin die USA auf der 44. Biennale di Venezia, wo sie für ihr Werk mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde. 2002 erhielt sie den Kaiserring der Stadt Goslar. 2004 wandte sie sich wieder der Malerei zu, mit der sie als Künstlerin begonnen hatte, und übermalte in ihren »Dust Paintings« amerikanische Staatsdokumente mit Farbe. 2011 wurde sie in die American Academy of Arts and Sciences gewählt und 2018 in die American Academy of Arts and Letters. 2023 zeigte das K21 der Kunstsammlung NRW, Düsseldorf, ihre politischen Werke zu den Themen Verbrechen, Gewalt, Zerstörung und Krieg.

I am writing sap green (Text US Government)
I am writing sap green (Text US Government) 2006

Rebecca Horn

Rebecca Horn (*1944 in Michelstadt, DE; †2024 in Bad König, DE) lebte und arbeitete in Berlin, Paris und im Odenwald. Seit den 1960er Jahren schuf sie ein die Gattungsgrenzen häufig überschreitendes Werk aus Zeichnungen, Texten, Skulpturen, kinetischen Objekten, Rauminstallationen, Performances und Filmen. In jungen Jahren, durch eine schwere Lungenvergiftung ans Krankenbett gefesselt, begann sie, den eigenen Körper und dessen Umgebung zunehmend als Denk- und Bildraum zu begreifen. Ihre frühen Body Extensions – fragile Apparaturen aus Federn, Stoffen und Metallen – erweiterten die physischen Grenzen des Körpers und wurden zu Instrumenten, mit denen sich der Raum erspüren und durchdringen ließ. In den Bodylandscapes – Zeichnungen aus körpergebundenen Prozessen – setzte sie ihren gesamten Körper ein und hinterließ mit weit ausholenden Gesten Spuren wie Striche, Kreise, Ellipsen und schräge Achsen auf großformatigem Papier. Die Werke erscheinen als tanzende Systeme, oft begleitet von handschriftlichen Notizen – flüchtig am Bildrand skizziert –, durch die sich das Werk zur Sprache hin öffnet. Schrift ist bei Horn keine Erklärung, ihre Worte erscheinen wie intuitive Zeichen des Körpers –Flügelschläge der Erinnerung, Seelenfenster. Rebecca Horn war eine präzise Virtuosin, die überkommene Konventionen künstlerischer Disziplinen sprengte – ambivalent, zwischen Natur und Technik, Stille und Klang, Zartheit und Aggression. Das Solomon R. Guggenheim Museum in New York (1993), der Martin-Gropius-Bau in Berlin (2006) und zuletzt das Haus der Kunst in München (2024) widmeten ihrem Werk umfassende Retrospektiven. Ihre Werke sind in bedeutenden internationalen Sammlungen vertreten – darunter das MoMA, New York, die Tate, London, das Centre Pompidou, Paris, und das Städel Museum, Frankfurt.

Alfredo Jaar

Alfredo Jaar (*1956 in Santiago de Chile, CL) lebt und arbeitet in New York. Er ist Künstler, Architekt und Filmemacher. Nach seinem Architekturstudium in Santiago und einer filmischen Ausbildung am Instituto Chileno Norteamericano de Cultura emigrierte er 1982 in die USA. Jaar entwickelt Werke, die gesellschaftliche Spannungen sichtbar machen. Themen können Rohstoffe sein, Migration, politische Gewalt, globale Ungleichheit – in Bild, Raum und Sprache.: Seine Installationen und Interventionen zeigen Realitäten, illustrieren sie jedoch nicht. Seine formale Klarheit lässt das Komplexe umso deutlicher hervortreten. Sprache spielt dabei eine zentrale Rolle. Schrift ist für Jaar kein Beiwerk, sondern Träger seiner Aussage und oftmals Teil der konzeptuellen Struktur. Bei vielen Arbeiten nutzt er Text, oft in Leuchtschrift oder als Projektion, als räumlich sehr dominante Unterbrechung oder als Kommentar. „(Kindness) of (Strangers)“ aus dem Jahr 2015 basiert auf einer Migrationskarte desselben Jahres. Neonpfeile zeichnen die durch den syrischen Bürgerkrieg ausgelösten Fluchtbewegungen Richtung Europa nach – vom Süden nach Norden, über die Mittelmeer- und die Balkanroute. Doch die Grafik verschweigt die komplexen Ursachen globaler Mobilität. Eine beigefügte Karte entschlüsselt die scheinbar abstrakte Komposition als visuelle Verdichtung realer Routen und präzises Bild globaler Umverteilung. Auch heute ist das Werk bedrückend aktuell – mit neuen Grenzen, neuen Kriegen, neuen Mauern und erneut wachsenden Migrationsbewegungen. Es ruft Assoziationen von Heimat, Exil und Vernetzung auf, von Tourismus und globaler Zirkulation sowie von der ungleichen Verteilung von Möglichkeiten. Jaar war u. a. vertreten auf der Biennale di Venezia (1986, 2007, 2009, 2013), der Bienal de São Paulo (1987, 1989, 2010, 2021), der documenta 8 und 11, Kassel (1987, 2002) sowie in Einzelausstellungen im New Museum, New York (1992), im Moderna Museet, Stockholm (1994), im MOCA Chicago (1995), im Musée des Beaux-Arts, Lausanne (2007), im KIASMA, Helsinki (2014), im Zeitz MOCAA, Kapstadt (2020), bei SESC Pompeia, São Paulo (2021), im MOCA Hiroshima (2023) und zuletzt im KINDL, Berlin (2024).

On Kawara

On Kawaras ›Today Paintings‹ gehören zum Inventar der bedeutendsten Kunstwerke seit den 1960er Jahren. Die Bilder sind politisch und privat und folgen der Entscheidung, sich ohne große Worte, auf hermetische, aber nachvollziehbare Weise um die Geschichte der Menschheit zu kümmern. Kawaras Werk wurde vielfach publiziert, wobei er eine große Zahl der Bücher selbst gestaltete. Als biografischen Hinweis wünschte er sich allein die Angabe von Tagen, an denen er gelebt hat.

On Kawara (*1932 in Kariya, JP; †2014 in New York, US) zählt zu den radikalsten Vertreter:innen der Konzeptkunst. Seit Anfang der 1960er Jahre lebte er in New York – öffentlich nahezu unsichtbar, künstlerisch kompromisslos präsent. Seine Biografie ist bewusst zurückgenommen, seine Kunst ein Archiv gelebter Zeit. Nach dem Studium an der Tokyo University of Fine Arts begann Kawara als gegenständlicher Maler. Der Bruch kam Anfang der 1960er Jahre: Die figurative Geste wurde durch Sprache, Zahl, Wiederholung und Systematik ersetzt. Ab 1966 entstehen die Today Paintings – monochrome Leinwände mit dem Datum des jeweiligen Entstehungstags, gemalt in nüchterner, weißer Typografie. Die Schreibweise richtet sich nach dem jeweiligen Aufenthaltsort, das Werk muss am Tag seiner Datierung vollendet werden – sonst wird es vernichtet. Jede Leinwand wird mit Zeitungsausschnitten des Entstehungstages in einer selbstgebauten Schachtel archiviert. Die Farbpalette variiert zwischen Blau, Dunkelgrau und Zinnoberrot – immer deckend, matt, zurückgenommen. Diese Strenge durchzieht sein gesamtes Werk. In der Serie I Met (1968–1979) listete Kawara mit der Schreibmaschine alle Personen auf, denen er täglich begegnete. In I Got Up (1968– 1979) stempelte er seinen täglichen Aufstehzeitpunkt samt Aufenthaltsort auf Touristenpostkarten und verschickte sie. In I Am Sill Alive (ab 1970) versandte er Telegramme mit einer einzigen Botschaft: „I AM STILL ALIVE. ON KAWARA“ Schrift wird bei Kawara zum existenziellen Marker – nüchtern, standardisiert, sachlich. Sie ist kein Ausdruck subjekiver Innerlichkeit, sondern Protokoll des Daseins, Beweis der eigenen Anwesenheit in Raum und Zeit. Seine Werke sprechen nicht, sie verzeichnen. Sprache ist bei ihm nicht Mitteilung, sondern Präsenz. On Kawaras Arbeiten wurden u. a. auf der documenta 5, 7 und 11 (1972, 1982, 2002), Kassel, im Guggenheim Museum New York (1993), im Dia Center for the Arts (1993–2000), in der Tate Modern, London, und im Rahmen der Retrospektive On Kawara – Silence im Solomon R. Guggenheim Museum, New York, und im Dallas Museum of Art (2015–2016) gezeigt.

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JUNE 1, 1967
JUNE 1, 1967
© One Million Years Foundation

Franz Kline

Franz Kline (*1910, Wilkes-Barre, Pennsylvania, US †1962, New York City, US) gilt neben Jackson Pollock und Willem de Kooning als zentraler Vertreter des Abstrakten Expressionismus in den USA, Nach Studien in Boston und an der Heatherley School of Fine Arts in London zog er 1939 nach New York, wo er zunächst als Bühnenbildner und Illustrator arbeitete. Anfangs malte er figurativ – Stadtansichten, Landschaften, Porträts. Ab 1948 entstand seine abstrakte Bildsprache aus starken schwarzen Balkenformen auf weißem Grund. Seine erste Einzelausstellung 1950 in der Egan Gallery brachte den Durchbruch; es folgten internationale Ausstellungen, Biennale-Teilnahmen und Museumsschauen in Europa, den USA und Japan. Klines Werk pendelt zwischen Impuls und Kontrolle. Seine großformatigen, über viele Jahre schwarz-weißen und später farbigen Kompositionen wirken wie spontane Gesten. Viele der eruptiven Linienzeichnungen und übergroßen dynamischen Skizzen beruhen jedoch auf minutiösen Vorzeichnungen. Mit breitem Pinsel und expressivem Duktus setzt er Flächen und Linien ohne gegenständliche Referenz. „I paint the white as well as the black, and the white is just as important“, sagte Kline selbst – ein Hinweis auf das sorgsame Gleichgewicht von Positiv- und Negativformen in seinen Gemälden. Obwohl er Bezüge zur japanischen Kalligrafie später verneinte, fand sein Werk dort früh Resonanz, etwa mit Hoboken auf dem Titel der Avantgarde-Zeitschrift Bokubi (1951). Er starb 1962, zehn Tage vor seinem 52. Geburtstag, auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Arbeiten von Kline waren u. a. auf der 9th Street Art Exhibition (1951), der Biennale di Venezia (1960), der documenta II (1959) und postum der documenta III, Kassel (1964) zu sehen; Retrospektiven folgten im Whitney Museum, New York (1968), und im San Francisco Museum of Modern Art (1985).

Glenn Ligon

Glenn Ligon (*1960 in New York City) lebt und arbeitet in New York. Er studierte an der Wesleyan University und nahm am Independent Study Program des Whitney Museum of American Art teil. Seit den späten 1980er Jahren entwickelt er eine konzeptuelle Praxis, die Malerei, Text, Druckgrafik, Fotografie und InstallaOon verbindet. Aus seiner PerspekOve als schwarzer, queerer Künstler reflekOert Ligon Sprache, Rassismus, RepräsentaOon und kollekOves Gedächtnis im Kontext der US-amerikanischen Kultur- und GesellschaWsgeschichte. Bekannt wurde Ligon durch seine seriellen Textbilder. Er bearbeitet Zitate von James Baldwin, Zora Neale Hurston, Jean Genet oder Richard Pryor mit Öl, Kohle oder Siebdruck und nutzt häufig Stencil-Schablonen, deren typisierte, maschinenhaWe Le'ern an Kopiervorlagen, Matrizen, Telefaxe oder Flugblä'er erinnern. Die reduzierte Farbigkeit – meist Schwarz auf Weiß, seltener Braun, manchmal auf Rot oder als NeonschriWzug – verweist auf gesellschaWliche Dichotomien wie Black/White, Sichtbarkeit/Unsichtbarkeit. Sie evoziert Anonymität, Amtlichkeit – und Widerstand. Worte schichten sich, wiederholen sich, verschmieren, verschwinden. Der Text wird zum Bild, die Sprache changiert zwischen Lesbarkeit und kaum zu erkennenden Chiffren. Ligons GesOk führt zu Sichtbarkeit bei gleichzeiOger Auflösung: Sprache erscheint als Werkzeug der Erinnerung, zugleich aber als Symbol struktureller Gewalt und kulturellen Ausschlusses. Die vier Werke der Sammlung gehören zu seiner Serie der Text Rubbings – Fro'agen mit Kohle und Graphit auf Papier. Zitate, so etwa Zora Neale Hurstons Satz „I feel most colored when I am thrown against a sharp white background“, erscheinen fragmenOert, überlagert, wie durchgepaust: Lesbarkeit wird zur Machyrage, Unlesbarkeit zur Strategie der Sichtbarmachung. Ligons Arbeiten wurden internaOonal ausgestellt, u. a. im Whitney Museum (2011), Camden Arts Centre (2014), Carré d’Art, Nîmes (2022), Fitzwilliam Museum, Cambridge (2024/25) sowie zuletzt bei The Brant FoundaOon, New York (2025).

Nja Mahdaoui

Nja Mahdaoui (*1937 in Tunis, TN) lebt und arbeitet in Tunis. Mahdaoui zählt zu den prägenden Stimmen der Erneuerung arabisch-islamischer Schriftästhetik. Nach Studien in Tunis, Rom und Paris kehrte er 1977 in seine Heimatstadt zurück. Ein Schlüsselmoment war seine Teilnahme an der Ausstellung Espaces Abstraits I (Mailand), kuratiert von Michel Tapié im Jahr 1969. Im Austausch mit internationalen Künstler:innen, darunter Lucio Fontana, Hossein Zenderoudi oder Atsuko Tanak, entwickelte Mahdaoui ab den frühen 1970er Jahren eine eigenständige, kalligrafisch geprägte Bildsprache. Seine Werke – Malerei, kalligrafische Zeichnungen, Installationen und Performances – verbindet er mit Materialien wie Pergament, Leinwand, Glas, Metall oder Textil. Sogar Flugzeuge und Interieurs werden zu Trägern seiner Zeichenwelt. Die sogenannten „Calligrams“ lösen sich von sprachlicher Lesbarkeit und verwandeln sich in rhythmische, ornamentale Strukturen. Der Buchstabe wird Linie, Bewegung, Anmutung, wird zu einer Form der Arabeske, die auf visuelle Verzückung statt Information setzt. Ein Beispiel ist Astrolabe (2009): Mahdaoui überträgt das historische Himmelsmessinstrument in eine visuelle Grammatik aus Farbe, Ordnung und Zeichen – eine kalligrafische Kosmografie. Mahdaouis Arbeiten wurden u. a. gezeigt im Institut du Monde Arabe, Paris (1988), im National Museum of African Art, Washington D.C. (1998), auf der Sharjah Biennale (2003), im Aga Khan Museum, Toronto (2015), im LACMA, Los Angeles (2021) sowie in Retrospektiven in Tunis (2018) und Dubai (2022). 2023 trat er im Louvre Abu Dhabi mit Naseer Shamma auf; aktuell arbeitet er mit dem Khawla Art & Culture Centre, Abu Dhabi (2024) zusammen.

Mark Manders

Mark Manders (*1968 in Volkel, NL) lebt und arbeitet in Ronse, Belgien. Er wuchs in der Provinz Nordbrabant auf und studierte Grafikdesign sowie Bildende Kunst an der Hogeschool voor de Kunsten in Arnhem. Bereits als Jugendlicher arbeitete er in einem Grafikstudio. Die frühe Nähe zu Sprache, Typografie und Layout prägt sein Werk. Seit 1986 verfolgt er das Konzept Self-Portrait as a Building: ein imaginäres Gebäude, in dem Räume, Figuren und Objekte als Fragmente eines sich stetig weiterentwickelnden Selbstporträts erscheinen. Seine Skulpturen, Installationen, architektonischen Pläne, Zeichnungen und Publikationen wirken wie Momentaufnahmen: surreal komponierte Stillleben aus Möbelstücken, Zeitungen, modellierten Köpfen und archaischen Objekten. Die verwendeten Materialien täuschen: Bronze wirkt wie getrockneter Ton, Holz wie bemalte Leinwand. Häufig reduziert Manders Objekte auf exakt 88 % ihrer ursprünglichen Größe – ein subtil entfremdender Effekt. In Room with All Existing Words (2005–2022) begegnet man einem über Jahrzehnte fortgesetzten Projekt zum Thema Sprache. Das Werk besteht aus zwanzig großen, zart mintfarbenen Türen, vor denen ein Liegestuhl steht. Der Stuhl ist aus Zeitungen konstruiert (ich glaube eher mit Zeitungen beklebt – aber weiss es selbst nicht), die angeblich sämtlichen Wörter eines englischen Lexikons enthalten. Darunter das seltene, kaum gebrauchte Wort „skiapod“, das für einen Mythos steht, der „gescheitert“ ist und sich nicht erhalten hat – die Vorstellung eines Fabelwesens mit nur einem Bein, das sehr schnell laufen kann. Er vertrat die Niederlande 2013 auf der Biennale di Venezia. Große Einzelausstellungen fanden u. a. statt im Art Institute of Chicago (2003), dem Hammer Museum, Los Angeles (2010), dem Bonnefantenmuseum Maastricht (2020), dem Museum of Contemporary Art Tokyo (2021) und dem Museum Voorlinden (2025/26).

Brice Marden

Brice Marden (*1938 in Bronxville, NY, US; †2023 in Tivoli, NY, US) pendelte zwischen New York und Rückzugsorten in Pennsylvania, Hydra und Marrakesch. Er studierte an der Boston University School of Fine and Applied Arts (BFA 1961) und an der Yale University of Art and Architecture (MFA 1963). In New York arbeitete er zunächst als Museumsaufseher und 1966 als Atelierassistent von Robert Rauschenberg. Dies schärfte seinen Blick für Material und Oberfläche. Mardens Werk entwickelte sich von farblich reduzierten, meist monochromen Leinwänden der 1960er/70er Jahre – Ölmalerei mit beigemischtem Bienenwachs, in vielen Schichten aufgebaut und mit matter, erdiger Farbigkeit – hin zu einer zunehmend gestischen Bildsprache. Diese frühe Phase suchte die „Fläche“ und eine stille Konzentration; später trat die Linie als bewegte, rhythmische Spur ins Zentrum. Entscheidend waren seine Reisen, vor allem nach Griechenland, Indien und China. Dort vertiefte er sich in kalligrafische Traditionen und poetische Konzepte, zugleich ließ er sich von Naturformen inspirieren – von Ästen, Steinen oder den Strukturen chinesischer gongshí-Gelehrtensteine. In seinem Atelier zeichnete er mit in Tinte getauchten Stöcken und entwickelte so Liniengeflechte in Spalten und Reihen. Farbe und Linie verband er zu Schichtungen, die zwischen Zeichensystem und Geste oszillieren. Die in der Sammlung vertretenen African Drawings (2011–12), in Tansania begonnen, bilden eine späte, autonome Werkgruppe: Auf einem festen 15×15-Raster entfalten sich Tintenfragmente zu palimpsestartigen Verdichtungen – eine „Schrift ohne Sprache“, die Mardens jahrzehntelange Auseinandersetzung mit Linie, Zeichen und Wahrnehmung bündelt. Marden nahm u. a. an der documenta 5 in Kassel teil. Umfangreiche Einzelausstellungen würdigten sein Werk, etwa im Solomon R. Guggenheim Museum, New York (1975), im Museum of Modern Art, New York (2006), die im Folgejahr vom San Francisco Museum of Modern Art übernommen wurde, im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin (2007) sowie im Kunstmuseum Basel (2022).

Joan Mitchell

Joan Mitchell (*1925 in Chicago, US; †1992 in Paris, FR) war eine Malerin der Wucht – und der Nuance. Ihre gestische Bildsprache speiste sich aus physischer Disziplin: Als Teenagerin war sie ein sportliches Allroundtalent – Wettkampftaucherin, Tennisspielerin, Eiskunstläuferin und Reiterin – Aktivitäten, die ihr eine harte körperliche Selbstsicherheit verliehen und ihr als Künstlerin zugutekamen und sich später in die Struktur ihrer Malerei einschreiben sollte. Nach dem Studium am Smith College und dem Art Institute of Chicago (BFA 1947, MFA 1950) ging sie 1948/49 mit einem Stipendium erstmals nach Frankreich – ein Ort, an den sie später dauerhaft zurückkehren sollte. 1949 zog sie nach New York und wurde Teil der dortigen Avantgarde. 1951 trug sie ihr eigenes Gemälde durch die Straßen Manhattans zur 9th Street Show – eine Geste von Selbstbehauptung im männlich codierten Raum der amerikanischen Nachkriegskunst. Mitchells Werk – monumentale, oft mehrteilige Leinwände, ebenso wie kleinere Formate, Pastelle und Drucke – übersetzt Erinnerungsräume und Naturwahrnehmung in energetische Farbarchitekturen. Rhythmus, Verdichtung und Überlagerung prägen ihre Bildstruktur, Farbe fungiert als / ist emotionale Trägerin. Ihre Malerei ist keine Abstraktion im klassischen Sinn, sondern eine synästhetisch aufgeladene Sprache des Sehens, Fühlens und Erinnerns. Seit Mitte der 1950er Jahre pendelte Mitchell zwischen Paris und New York, bevor sie 1959 dauerhaft nach Frankreich übersiedelte. Ab 1968 lebte sie in Vétheuil – einst Claude Monets Rückzugsort – und arbeitete dort zurückgezogen in einem Ensemble aus Haus, Atelier und Garten, stets umgeben von Hunden, Gästen und befreundeten Künstler:innen. Ausstellungen u. a. in der Stable Gallery, New York (1953–58), auf der documenta II, Kassel (1959), im Whitney Museum (1974, 2002), im Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris (1982), im Kunsthaus Bregenz und Museum Ludwig, Köln (2015–16) sowie zuletzt im SFMOMA, im Baltimore Museum of Art und in der Fondation Louis Vuitton (2021–22).

Morita Shiryū

Morita Shiryū (1912 – 1998) gehört zu den bedeutendsten japanischen Künstlern der Nachkriegszeit. Er stand in regem Kontakt zu amerikanischen und französischen Künstlern, um Shodō, den ›Weg des Schreibens‹ als ein zeitgenössisches künstlerisches Ausdrucksmittel, als Philosophie zu propagieren. 1963 schrieb er: ›Die Bewegung des Shō wird durch den mit Tusche gefüllten Pinsel durchgeführt.‹ Indem das Schreiben mit dem Schriftzeichen und der Bildoberfläche zu verschmelzen schien, entstand für ihn ein ganzheitliches Welterlebnis.

Ryu wa Ryu o Shiru
Ryu wa Ryu o Shiru 1969

Herta Müller

Herta Müller (*1953 in Nițchidorf, Rumänien) ist Schriftstellerin und Collagekünstlerin. Seit 1989 arbeitet sie mit ausgeschnittenen Wörtern aus Zeitungen und Magazinen, die sie zu poetischen Miniaturen auf Karteikarten arrangiert. Die Begrenzung des Formats wird zur Freiheit: Ihre »Wörter-Sammlungen« erzählen von Sprachlust, Widerstand und Erinnerung. Müllers Collagen sind zugleich Texte und Bilder, Klangräume und Bühnenstücke. Die aus dem Exil kommende Nobelpreisträgerin verwandelt Sprache in ein visuelles Spiel aus Rhythmus, Reim und Widerstandskraft – ein leises Echo gegen das Vergessen, geprägt von Zensur-Erfahrungen und dem unerschöpflichen Wunsch nach Ausdruck.

Ernst Wilhelm Nay

Ernst Wilhelm Nay (*1902 in Berlin, DE; †1968 in Köln, DE) verband kraftvolle Farbigkeit mit einer musikalisch gedachten Abstraktion, indemer Bildräume schuf, die nicht erzählen, sondern vibrieren und klingen. Seine Malerei folgte keiner äußeren Ordnung, sondern einer inneren Partitur. Geboren in eine Beamtenfamilie, wandte sich Nay früh der Kunst zu. Nach dem Tod seines Vaters im Ersten Weltkrieg begann er autodidaktisch zu malen. Mitte der 1920er Jahre wurde er auf Empfehlung Karl Hofers an der Berliner Hochschule für die Bildenden Künste aufgenommen – ein prägender Schritt. Reisen führten ihn in den 1930er Jahren nach Bornholm, Rom und schließlich auf die Lofoten, wo sich Licht und Landschaft tief in seine Bildsprache einschrieben. Unter dem NS-Regime als „entartet“ diffamiert, verlor er Ausstellungs- und Arbeitsmöglichkeiten. Während des Zweiten Weltkriegs war er als Kartenzeichner in Frankreich stationiert.Dort entstanden unter schwierigen Bedingungen Werke auf Papier und Leinwand. Nach 1945 ließ er sich in der Nähe von Frankfurt nieder, später in Köln, das zum Zentrum seines Schaffens wurde. Sein Nachkriegswerk zeugt von konsequenter Experimentierfreude. Farbe, Fläche und Rhythmus wurden für Nay Träger seiner Kompositionen- Von den frühen Figurationen bis zu den späteren Scheiben- und Augenbildern erscheinen sie als Widerhall seines inneren Zustands. Nays Werk wurde international gezeigt – u. a. auf der Biennale von Venedig (1956), bei den documenta-Ausstellungen I (1955), II (1959) und III (1964) in Kassel sowie in Paris und New York. Früh geehrt mit Retrospektiven in der Kestner-Gesellschaft Hannover (1950) und im Museum Folkwang Essen (1967), wurde sein Œuvre posthum u. a. im Museum Wiesbaden (2002), im Sprengel Museum Hannover (2002/03) und im MKM Museum Küppersmühle (2022/23) umfassend gewürdigt.

Shirin Neshat

Neshats Fotos zeigen Kalligrafien in Farsi. Akkurat beginnen die Wörter am Haaransatz. Man muss nah an die Personen herantreten, um die Schrift zu entziffern. Zum Teil geht es um poetische Verse aus einem Gedicht von Jamal al-din Nezami Ganjavi, einem der renommiertesten Dichter Irans. Viele Iraner können Textteile dieser Poesie, in der es um Liebe und das Leben in einer Diaspora geht, noch heute auswendig rezitieren.

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Malaksima
Malaksima 2015

Adam Pendleton

Adam Pendleton (*1984 in Richmond, Virginia, US) lebt und arbeitet in New York. Nach einem abgebrochenen Studium am Art Institute of Chicago absolvierte er ein Independent Study Program im toskanischen Pietrasanta, bevor er 2002 nach New York zog und dort eine künstlerische Praxis entwickelte, die politische Geschichte, Sprache und visuelle Systeme auf radikale Weise miteinander verschränkt. Pendletons Werk ist interdisziplinär – Malerei, Siebdruck, Video, Text, Collage und Performance überlagern sich in konzeptuellen Verfahren, die auf das Prinzip der Montage setzen. Sprache, Textur, Kopien, Zeichen und gestsche Spuren fügen sich zu flirrenden Schwarzweißkompositionen, gelegentlich unterbrochen von metallischen oder monochromen Farbakzenten. Formale Gegensätze – Positiv/Negativ, Fläche/Tiefe, Stimme/Silenz – werden sichtbar gemacht, jedoch nicht aufgelöst. Seit 2008 beschreibt Pendleton seine Arbeit als Black Dada – ein visuelles, poetisch-politisches Vokabular, das Dadaismus, Pattern-Strategien, afroamerikanische Theorie und visuelle Codes miteinander verwebt. Black Dada als rhythmisches System aus Wiederholung, Abweichung und Intervention erscheint verwandt mit der Logik von Dub, Rap oder westafrikanischem Textildesign. In Serien wie Untitled (WE ARE NOT) wird in einem All-Over-Effekt Typografie geschichtet, zerschnitten, besprayt und rhythmisiert. Bedeutung entsteht relational – zwischen Fragment und Resonanz, Lücke und Wiederholung, Dekonstruktion und Rekontextualisierung. Schrift wird zu einer offenen Komposition: lesbar, hörbar, aber nie eindeutig. Dabei wird auch das kollekive „Wir“ zur Fragestellung: ein „Wir“, das sich nicht auf fixe Zuschreibungen stützt, vielmehr als bewegliche Struktur kollektiver Vielstimmigkeit. Pendletons Arbeiten wurden u. a. bei Performa, New York (2007), auf der Biennale von Venedig (2015), im MCA Chicago (2016), im MoMA New York (Who Is Queen?, 2021), in der Tate Liverpool (2022), im mumok, Wien (2023/24) sowie zuletzt mit To Divide By an der Washington University, St. Louis (2023/24) und aktuell im Hirshhorn Museum, Washington, D.C. (2025/26) gezeigt.

Qiu Zhijie

›Mapping‹, sagt der chinesische Künstler Qiu Zhijie (*1969), Kartieren, Entwerfen und Abbilden, sei seine wichtigste Betätigung. Hunderte von ›Karten‹ hat er bereits realisiert, keine davon bildet nur bestehende Welten ab. Stets geht es um Themen und um Recherche. Qiu ist gelernter Kalligraf, der Schrift und Bild, die chinesische und die englische Sprache mit fiktiven Landschaften in Beziehung setzt. Mit dem Auftragswerk ›24 World Maps‹ versuchte er, alle menschlichen Wissensgebiete zu behandeln.

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Map of Art and Everyday Life
Map of Art and Everyday Life 2015-2017

Kazuo Shiraga

Kazuo Shiraga (1924 – 2008) war das prominenteste Mitglied der japanischen Gutai Gruppe. 1956 hatte ihn die Zeitschrift Life mit den Füßen malend auf einer Schaukel fotografiert. Für Amerikaner reagierte er auf das ›Dripping‹ von Jackson Pollock. Ein kurz darauf in Tokio veröffentlichtes Gutai-Manifest hielt die Technik als Shiragas Malmethode fest. Das Ziel lag in der Verbindung des Farbmaterials mit ›the dynamism of his own mind‹. Shiraga selbst sprach von einem ›proof of life.‹ 1958 wurde die Gutai-Kunst erstmals in New York gezeigt.

Tenku
Tenku 2003

Fabienne Verdier

Fabienne Verdier (*1962 in Paris, FR) lebt und arbeitet in der Nähe von Paris. Sie studierte Malerei an der École des Beaux-Arts in Toulouse. 1984 ging sie mit einem Stipendium nach China, um in Chongqing (als erste europäische Frau) bei traditionellen Kalligrafen zu lernen – unter ihnen Huang Yuan, ein letzter Meister der Tuschmalerei, der die Kulturrevolution überlebt hatte. Sie blieb insgesamt zehn Jahre in China, lernte die „Sprache der Linie“, die Disziplin der Geste und das Materialbewusstsein für Papier und Tinte – Erfahrungen, die sie später in ihrem autobiografischen Bericht Passagère du silence (dt. „Zeichen der Stille“, 2003) beschrieb. Nach ihrer Rückkehr aus China begann Verdier, zwei kulturelle Bildsysteme neu zu denken: die disziplinierte, zeichenbasierte Kalligrafie des Ostens und die gestisch-körperliche Malerei des westlichen Informel. In ihrer Arbeit verschränkt sie deren Haltungen nicht zu einer Synthese, sondern lässt sie in produktiver Reibung aufeinandertreffen. Ihre großformatigen Werke entstehen am Boden, mit überdimensionalen Pinseln, die an Seilzügen hängend, in einem einzigen, konzentrierten Schwung geführt werden. Die Linie wird zum Ereignis: zu Impuls, Bewegung, Kraftfluss. Verdiers „grande geste“ ist primär kein Ausdruck von Virtuosität, sondern ein Akt innerer Sammlung. Die kalligrafische Disziplin verwandelt sich in abstrakte Energie; das westliche Informel wird zur meditativen Struktur. Es ist genau diese Spannung zwischen Kontrolle und Loslassen, Ost und West, Form und Geste, die ihrer Malerei die eigene Sprache verleiht. Verdiers Werke wurden u. a. gezeigt in der Pinakothek der Moderne, München, im Rahmen von Königsklasse II (2014) und III (2017) im Kloster Benediktbeuern, im Musée Granet, Aixen- Provence (2019), im Musée Camille Claudel, Nogent-sur-Seine (2022), im Saarlandmuseum Moderne Galerie, Saarbrücken (2022–2023) sowie im Musée Unterlinden, Colmar (2022–2023).

Lawrence Weiner

In der Arbeit Lawrence Weiners (1942 – 2021) geht es um Wörter oder knappe Sätze, die Vorstellungen in uns auslösen. Es werden Stoffe und Ideen aufgerufen, gelegentlich handelt es sich um kryptisch wirkende Appelle. ›The Grace of a Gesture‹ fuhr 2013 auf den venezianischen Vaporetti in zehn verschiedenen Sprachen den Canale Grande auf und ab. Gleichzeitig war das Werk als ein ›Collateral Event‹ der Biennale Venedig in einem Ausstellungsraum nahe der Rialto Brücke zu sehen. Für Weiner basiert eigentlich alles auf Schrift, insofern fast alles auf Bedeutung basiert: ›I think everything is essentially based on writing as it is essentially based on meaning.‹

The Grace of a Gesture
The Grace of a Gesture 2013
© Written Art Collection \ Philipp Ottendörfer

Yū-ichi Inoue

Yū-ichi Inoue (1916 – 1985), der in Tokio zeitlebens als Volksschullehrer arbeitete, war gelernter Kalligraf und hörte von den Hauptströmungen abstrakter Kunst in den USA und Westeuropa. Um die Mitte der 1950er Jahre entwickelte er mit besenartigen, aus Trockengrasbüscheln gebauten Pinseln eine eigene Technik. Es ging darum, mit höchster künstlerischer Energie lesbare Schriftzeichen zu schaffen. Mit seinen großformatigen Tuschebildern war er ab 1954 in vielen Museumsausstellungen vertreten, die die japanische Kalligrafie mit westlicher Abstraktion verglichen.

Ha-Ha Mutter
Ha-Ha Mutter 1962